Die Gewaltspirale
Oftmals braucht es viele Anläufe, bevor eine Frau eine Gewaltbeziehung verlassen kann. Die Gesellschaft urteilt dann häufig und fragt „Warum ist sie nicht einfach gegangen?“ Deshalb beschreibt dieser Text die Dynamiken, warum es für eine Gewaltbetroffene eben nicht „einfach“ ist zu gehen.
Eine Gewaltbeziehung unterscheidet sich von einer Beziehung in der gestritten wird dadurch, dass ein Machtverhältnis zwischen den Partnern vorliegt. Körperliche Gewalt ist auch meistens nicht von Anfang an vorhanden, sondern tritt erst in einem späteren Verlauf der Beziehung auf. Abhängigkeit vom und soziale Isolation durch den Partner können bei Veränderungen in den Lebensumständen, z.B. einer Schwangerschaft oder Geburt eines Kindes, dem Bezug einer gemeinsamen Wohnung oder einer Trennung in gesteigerte Gewaltformen einmünden.
Die amerikanische Psychologin Lenore E. Walker hat diese Phasen 1979 in ihrem „Zirkel der Gewalt“ beschrieben:
1. Phase des Spannungsaufbaus
In dieser Phase kommt es zu Abwertungen, Demütigungen, Beschimpfungen durch den Täter. Die Betroffene versucht Gewalttätigkeiten zu verhindern, indem sie ihre Bedürfnisse und Ängste unterdrückt und ihre ganze Aufmerksamkeit auf den gewalttätigen Partner richtet. Dieses beschwichtigende und angepasste Verhalten kann die Gewalt jedoch nicht kontrollieren.
2. Gewalteskalation
In dieser Phase gibt es unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten: Die Betroffene zieht sich zurück (Flight), wehrt sich aktiv (Fight) oder erträgt die Misshandlungen (Freeze). Die Gewalt ist oft mit Todesängsten verbunden und hat gravierende körperliche und psychische Folgen bis hin zu posttraumatischen Belastungsstörungen, die sich in Schlafstörungen, Depressionen, Selbstwertverlust und anderen Symptomen äußern können.
3. Latenz- oder Honeymoon-Phase
Nach einem akuten Gewaltausbruch zeigt die gewaltausübende Person sich oft reuig. Sie möchte alles ungeschehen machen und verspricht sich zu ändern. Ein Teil sucht Unterstützung bei einer Beratungsstelle, ein Teil appelliert an das Opfer ihm zu verzeihen. In der Hoffnung auf die Einhaltung der Versprechen nehmen viele Betroffene von Trennungsabsichten wieder Abstand, ziehen Strafanzeigen zurück, brechen Beratungsgespräche ab oder gehen vom Frauenhaus zurück in die Beziehung. Die Erinnerung an die Gewalt wird verdrängt, der Täter gegenüber Dritten verteidigt und die erlittene Gewalt verharmlost.
Da viele Täter auch gegenüber anderen ihre Reue und Änderungsbereitschaft glaubwürdig rüberbringen können, wirkt nicht selten auch das Umfeld auf das Opfer ein, dem Partner nochmal eine Chance zu geben.
4. Abschieben der Verantwortung
Viele Täter suchen nun nach Erklärungen für ihr Verhalten ohne hierfür die Verantwortung zu übernehmen. Sie machen die Lebensumstände (z.B. Probleme auf der Arbeit, Alkoholkonsum) für ihren Kontrollverlust verantwortlich oder suchen die Schuld bei der Partnerin. Viele Gewaltbetroffene übernehmen die Verantwortung für das gewalttätige Handeln („Ich habe ihn provoziert“), da dies ihnen die Illusion gibt, weitere Gewalteskalationen durch ihr Verhalten verhindern zu können. Dies entlastet die gewaltausübende Person.
Wenn es zu keinem Durchbrechen der Spirale durch eine der beteiligten Personen kommt, dreht sich die Gewaltspirale weiter. Meistens werden die Misshandlungen mit der Zeit häufiger und massiver.
Was das Ausbrechen aus der Gewaltspirale erschwert
- Opfer wollen nicht unbedingt die Beziehung beenden, sondern nur, dass die Gewalt endet. Wenn sie deshalb beim Partner bleiben oder immer wieder zur gewaltausübenden Person zurückkehren, reagiert das Umfeld mit Unverständnis und kündigt der Betroffenen die Solidarität auf. Damit verstärkt sich die soziale Isolation und durch die Schuldzuweisung, die Betroffene wolle nichts an ihrer Situation ändern, wächst bei dieser weiter das Gefühl schuld zu sein.
- Auch in Gewaltbeziehungen kann es gute und liebevolle Phasen geben. Dies nährt die Hoffnung, dass eine gewaltfreie Beziehung möglich ist.
- Während einige Betroffene die Gewaltbeziehung wegen gemeinsamer Kinder verlassen, damit diese nicht länger belastenden Situationen ausgesetzt sind, bleiben andere Betroffene auch wegen der Kinder in der Gewaltbeziehung, damit diese mit beiden Eltern aufwachsen können, oder weil sie sich nicht zutrauen, alleine für die Kinder zu sorgen
- Eine Trennung kann bei Migrantinnen zur Folge haben, dass sie das Land verlassen müssen, wenn das Aufenthaltsrecht vom Ehepartner abhängig ist. Auch wenn die Istanbul Konvention ein eigenständiges Aufenthaltsrecht im Falle von Gewalt vorsieht, setzt die Rechtsprechung dies noch nicht konsequent um.
- Ökonomische Abhängigkeiten durch niedrigere Löhne in Berufen, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden und/oder Teilzeittätigkeiten können Frauen davon abhalten, die Beziehung zu verlassen
- Trennungen bedeuten nicht automatisch das Ende der Gewalt, sondern können sogar zu einer Verschärfung, bis hin zur tödlichen Gewalt führen